Analog und in den Ferien: Politik sabotiert direkte Demokratie
Die Volksinitiative “Schluss mit Gendersprache in Verwaltung und Bildung” klagt vor dem Hamburgischen Verfassungsgericht dagegen, dass Hamburger Bürger das anstehende Volksbegehren nicht digital unterstützen können und die Unterschriftensammlung vollständig in die Sommerferien fällt. Darin liegt eine eklatante Beschneidung des in der Hamburger Verfassung (Art. 50) gesicherten Bürgerrechts auf direkte Demokratie durch Senat und Bürgerschaft. Zum einen weigert sich der rot-grüne Senat, die Online-Abstimmung bei Volksbegehren einzuführen. § 9 des Volksabstimmungsgesetzes (VAbstG) bestimmt unmissverständlich, dass die Unterstützung des Volksbegehrens auch durch “andere Verfahren erfolgt”, wenn diese der Unterschrift gleichstehen.
Seit Jahren schon ist mit Smartphone, Personalausweis und PIN eine rechtswirksame, digitale und damit ortsunabhängige Online-Unterschrift möglich. Digitalisierung steht in Hamburg jedoch nur auf dem Papier. Umgesetzt wurde und wird hier nichts. Offenbar haben die Politiker Sorge, die direkte Demokratie würde sonst wirklich direkt werden. Der Hamburgische Notar Dr. Jens Jeep, der zu den Vertrauenspersonen der Volksinitiative gehört, erläutert den rechtlichen Hintergrund der Klage: “Das Volksabstimmungsgesetz stellt die Unterstützung in elektronischer Form nicht in das Belieben des Senats. Geregelt ist vielmehr ein Rechtsanspruch der Hamburger Bürger. Und der Senat ist zur Umsetzung verpflichtet.”
Die Online-Abstimmung wäre auch ein wichtiger Schritt zur überfälligen Digitalisierung der Hamburger Verwaltung, betont die Autorin und Künstlerin Claudia Guderian von der Volksinitiative: “Es können sich beim Volksbegehren wie bei der Europawahl bereits die 16-jährigen zu Wort melden. Man kann sich deren Blick vorstellen, wenn wir erklären, dass mit dem Handy gar nichts läuft und sie zwingend auf Papier unterschreiben müssen.” Die fehlende Online-Abstimmung verringert in rechtswidriger Weise die Erfolgsaussichten jedes Volksbegehrens. Die Volksinitiative “Schluss mit Gendersprache in Verwaltung und Bildung” ist jedoch in besonderer Weise von der Digitalisierungsverweigerung betroffen. Denn die Bürgerschaft hat den Antrag der Volksinitiative auf Verschiebung des Volksbegehrens auf die Zeit nach den Sommerferien aus politischen Gründen abgelehnt. Entscheidend waren die Stimmen von SPD, GRÜNE und LINKE, den Befürwortern der Gendersprache. Die Unterschriftensammlung würde damit erstmals in der Geschichte der direkten Demokratie vollständig in die Urlaubszeit fallen. Mitten im Urlaub und nur analog: Die Senatsparteien wollen es den Bürgern möglichst schwer oder sogar unmöglich machen, ihre verfassungsmäßigen Rechte wahrzunehmen. “Wenn der Bürgerwille nur von Interesse sein soll, wenn er der Bürgerschaftsmehrheit politisch genehm ist, dann können wir die direkte Demokratie auch gleich aus der Hamburgischen Verfassung streichen”, kommentiert Jan-Dirk Strauer von der Volksinitiative dieses offensichtlich verfassungswidrige Verhalten der gewählten Volksvertreter. Dabei stellt die Hamburger Landesverfassung in Artikel 50 die Volksgesetzgebung mit Volksinitiative, Volksbegehren und anschließendem Volksentscheid gleichberechtigt neben die normale Gesetzgebung durch die Bürgerschaft. Die Verfassung sichert so das Recht der Bürger, Gesetze auch und gerade dann wirksam zu beschließen, wenn die Mehrheitsparteien in der Bürgerschaft diese nicht wollen. So wie hier bei der Initiative gegen die ausufernde Gendersprache in Verwaltung und Bildung.
Dieses Bürgerrecht bekämpfen nun die Senatsparteien. Sie setzen sich für die Verwendung von Gendersprache durch Doppelnennungen, Binnenzeichen wie Doppelpunkt und Sternchen (“Bürger*innen”), Partizipkonstruktionen (“Radfahrende” statt “Radfahrer”) und Doppelpronomen (“seine/ihre”) ein und wollen dies gegen den Willen der großen Mehrheit der Bürger auch beibehalten. “Wir wollen es eigentlich nicht glauben: Die Politik versucht tatsächlich zu verhindern, dass die Hamburger ihre Meinung darüber zum Ausdruck bringen können, mit welcher Sprache sie vom Staat angesprochen und mit welcher Sprache ihre Kinder unterrichtet werden?”, kritisiert Dr. Jens Jeep den Kampf der Politik gegen die eigenen Bürger. Der Notar wundert sich auch über das zugrunde liegende Demokratieverständnis: “Wenn man der Überzeugung ist, dass die Gendersprache im Sinne der Bürger ist, dann sollte man keine Angst vor einem Volksentscheid haben.” 2 Dabei ist das Gender-Volksbegehren das erste seit über 10 Jahren, bei dem auch Senat und Bürgerschaft davon überzeugt sind, dass es weder gegen die Verfassung noch gegen anderes höherrangiges Recht verstößt. Ein sonst verpflichtender Überprüfungsantrag beim Verfassungsgericht wurde nicht gestellt. Alle anderen Volksbegehren waren nach einem solchen Antrag vom Verfassungsgericht gekippt worden.
Nach aktuellem Stand würde das Volksbegehren am 18. Juli 2024 zeitgleich mit den Schulferien beginnen. Erst ab diesem Tag werden auch die Unterlagen für die Briefeintragung verschickt. Für Bürger, die bereits im Urlaub sind, kommt dies zu spät. Eine öffentliche Sammlung von Unterschriften würde sogar erst am 8. August 2024 starten und am 28. August 2024 enden, dem letzten Tag der Schulferien. Die Volksinitiative will mit ihrem Eilantrag beim Verfassungsgericht erreichen, dass der Beginn der Briefwahl auf den ersten Tag nach den Schulferien verlegt wird. Nur so haben alle Bürger Gelegenheit, ihre verfassungsmäßigen Rechte auch wahrzunehmen.