Verfassungsgericht: Direkte Demokratie in Hamburg auch ohne Bürger zulässig

Aus Sicht des Verfassungsgerichts ist es kein Problem, wenn ein Volksbegehren mitten in die Sommerferien fällt und dort nicht einmal eine Online-Abstimmung zulässig ist. Die Richter haben einen Eilantrag auf Verschiebung der Abstimmung als offensichtlich unzulässig und offensichtlich unbegründet zurückgewiesen. Der Versand der Briefunterlagen für das Volksbegehren “Schluss mit Gendersprache in Verwaltung und Bildung” beginnt nun tatsächlich am ersten Tag der Sommerferien und die letzte händische Unterschrift muss am letzten Ferientag abgegeben werden. Die Begründung des Verfassungsgerichts ist für Nichtjuristen kaum verständlich. Die Richter befassen sich nicht inhaltlich mit der eigentlichen Frage, ob eine Volksabstimmung in den Sommerferien einen verfassungsrechtlich unzulässigen Eingriff in die Reche der Bürger beinhalte. Sie wählen stattdessen den Weg durch das dichte Gestrüpp verfahrensrechtlicher Details. Die Volksinitiatoren hätten ja in der Hauptsache nicht beantragt, das Volksbegehren auf die Zeit nach den Ferien zu verschieben, also sei dies auch als Eilantrag nicht zulässig. “Über die Hauptsache wird frühestens 2025 entschieden. Um dann einen Termin zu verschieben, der bereits im Sommer des Vorjahres lag, bräuchte es einer Zeitmaschine. Uns war nicht bekannt, dass das Hamburger Verfassungsgericht im Besitz einer solchen ist. Deshalb haben wir ja einen Eilantrag gestellt.”, erwidert Notar Dr. Jens Jeep, Vertrauensperson der Volksinitiative auf das entscheidende Argument des Verfassungsgerichts. Betroffen sind damit nicht nur die aktuelle Volksinitiative gegen das Gendern. Betroffen sind alle aktuellen und zukünftigen Volksinitiativen in Hamburg, denen Senat und Bürgerschaft praktisch das Klagerecht gegen Entscheidungen der Politik abgesprochen haben. Hans Kaufmann, Vertrauensperson der Volksinitiative, zeigt sich kämpferisch. “Das Volksbegehren wird trotzdem erfolgreich sein. Es müssen nur alle mitmachen, die für direkte Demokratie und gegen das Gendern in Behörden und Schulen eintreten. Wir sagen: Jetzt erst recht.” Wer in den Ferien verreist, sollte schnellstmöglich die Unterlagen für die Briefeintragung anfordern. “Das geht schon jetzt online auf ohne-gendern.de. Ab dem 8. August können dann alle mithelfen, im Bekannten- und Familienkreis Unterschriften zu sammeln. Gemeinsam schaffen wir das.” erläutert Claudia Guderian von der Volksinitiative, wie Bürger sich gegen das Gendern wenden können: “Wir werden so die erforderlichen 66.000 Stimmen zusammenbekommen und damit auch das Recht der Bürger gegenüber Senat und Bürgerschaft stärken. Wer mitmachen möchte, kann sich ab sofort bei uns unter hamburg@ohne-gendern.de melden.” Das Verfahren vor dem Verfassungsgericht ist damit noch nicht zu Ende. In der Hauptsache wird das Verfassungsgericht die folgenden Fragen beantworten müssen: Darf das Hamburger Stadtparlament das im Volksabstimmungsgesetz verankerte Vorschlagsrecht einer erfolgreichen Volksinitiative auf Verschiebung der Termine für das Volksbegehren nach freiem Ermessen und damit auch willkürlich und aus rein politischen Gründen ablehnen? Oder müssen die berechtigten Interessen der verfassungsrechtlich garantierten Volksgesetzgebung berücksichtigt werden, wonach ein Volksbegehren nicht in den Sommerferien stattfinden darf. Die zweite Frage betrifft den Senat: Steht es im freien Ermessen der Hamburger Regierung, die im Volksabstimmungsgesetz festgelegte Möglichkeit der Online-Teilnahme am Volksbegehren dadurch zu verhindern, dass die technischen Voraussetzungen einfach nicht geschaffen werden? Oder handelt es sich um einen sich aus dem Gesetz und der Verfassung ergebenden Anspruch der Bürger, im Jahr 2024 auch mit Personalausweis und Smartphone ein Volksbegehren zu unterstützen. Beide Fragen betreffen die Grundfesten der direkten Demokratie in Hamburg. Sie stellen sich völlig unabhängig vom Anliegen der klagenden Volksinitiative gegen das Gendern in Behörden und Schulen. “Es geht hier um nicht anderes als die Frage, ob der Bürgerwille nur dann zum Ausdruck kommen darf, wenn er der politischen Mehrheit in der Bürgerschaft auch gefällt.”, 2 fasst Jan-Dirk Strauer von der Volksinitiative zusammen, worum es wirklich geht. Anlagen Die Erwiderung der Volksinitiative auf die Stellungnahmen von Senat und Bürgerschaft. Der Klageantrag der Volksinitiative Hintergrundinformationen zur Online-Abstimmung und den rechtlichen Grundlagen Bereits im Herbst 2023 hatte der Senat auf eine Schriftliche Kleine Anfrage zum Stand der Umsetzung der Online-Abstimmung trocken mitgeteilt: Die Vorschrift zur Ermöglichung einer Eintragung im technischen Verfahren (§ 9 Absatz 2 Satz 2 VAbstG) wurde durch das Siebte Gesetz zur Änderung des Volksabstimmungsgesetzes vom 12. Juni 2007 (HmbGVBl. S. 174) eingeführt. Eine nähere Ausgestaltung in der Volksabstimmungsverordnung sowie die Entwicklung und Implementierung eines technischen Verfahrens ist bisher nicht erfolgt. (…) Hinsichtlich der Entwicklung, Implementierung sowie Wartung und Pflege eines technischen Verfahrens ist zudem zu berücksichtigen, dass zuletzt ein Volksbegehren vom 18. September bis zum 8. Dezember 2014 durchgeführt wurde. Ein technisches Verfahren sollte eine Nutzung über den temporären Einzelfall hinaus gewährleisten. (…) Darüber hinaus hat sich der Senat hiermit nicht befasst. Mit anderen Worten: “Haben wir nicht. Machen wir nicht.” Die Senatsantwort hatte ein großes Medienecho ausgelöst und zu viel Kritik am Verhalten des Senats geführt. Die Volksinitiative hat daraufhin zweimal vergeblich beim Senat nachgefragt, ob dieser seine ablehnende Auffassung seitdem geändert habe und die Online-Abstimmung nun vorbereite. Mit seiner Haltung verstößt der Senat nach Auffassung aller befragten Juristen klar gegen den Wortlaut und den dahinter liegenden Sinn und Zweck des Volksabstimmungsgesetzes. Dieses sieht die Online-Unterstützung eines Volksbegehrens als Bürgerrecht vor. § 9 des Volksabstimmungsgesetzes regelt bereits seit 2007, dass ein Volksbegehren auch anders als durch eigenhändige Eintragung in Listen unterstützt werden kann: § 9 Volksabstimmungsgesetz Das Volksbegehren wird durch eigenhändige Unterzeichnung in Eintragungslisten bei den Eintragungsstellen oder in freier Sammlung durch die Initiatoren unterstützt. Die Eintragungen erfolgen auch durch andere Verfahren, die den Vorgaben einer rechtsverbindlichen Authentifizierung und der Schriftform auf der Grundlage bestehender bundes- und landesrechtlicher Regelungen entsprechen. 3 Die geforderte Entsprechung mit den “Vorgaben zur rechtsverbindlichen Authentifizierung” liegt längst vor: Personalausweis und PIN erfüllten die Vorgaben spätestens seit dem Jahr 2016. Mit dem aktuellen Personalausweis im Kreditkartenformat als europäisch geregelter eID hat jeder Bürger die Möglichkeit, durch Scannen mit einer geeigneten App und PIN-Eingabe Dokumente elektronisch rechtssicher zu unterzeichnen, “on-the-fly” oder im “1-Schritt-Verfahren”, also ohne vorherige Registrierung oder Anmeldung. Das geht sogar schon bei allen notariellen Registeranmeldungen und auch der GmbH-Gründung. Auch die erforderliche App gibt es längst. Die “AusweisApp” des Bundes lässt sich kostenlos über die App-Stores von Apple und Google auf jedes Smartphone laden. Sie müsse also nicht etwa erst von Hamburg entwickelt werden, wie die Aussage des Senats suggeriere. Damit kann jeder Bürger schon jetzt in Sekundenschnelle testen, ob der eigene Ausweis funktioniert und die PIN stimmt. Eine neue PIN kann problemlos und rechtzeitig zum Volksbegehren beim Bezirksamt festgelegt werden. Die Umsetzung der gesetzlichen Pflicht wäre daher kein Problem für den Senat, weder vom Aufwand noch von den Kosten. Alles, was die Verwaltung tun muss, ist das Bereitstellen einer Webseite, auf die am Computer oder mobil zugegriffen werden kann und die sodann zur Unterstützung des Volksbegehrens die AusweisApp öffnet. Für die Unterstützer des Volksbegehrens würde der gesamte Vorgang dann keine Minute dauern. Egal, ob dieser daheim, in der U-Bahn oder auf einer Ferieninsel weilt. Das Gesetz regelt, dass Eintragung eben nicht nur durch Unterschrift “erfolgen”. Jeep: “Das ist keine unverbindliche Option für den Senat, das ist ein klarer Gesetzesauftrag, der nun endlich umgesetzt werden muss.” Willkommener Nebeneffekt dieser Online-Abstimmung auch für den Landeswahlleiter: Die Auszählung der Stimmen würde erheblich erleichtert und ebenso die Prüfung, ob es sich bei den Unterstützern wirklich um Hamburger Wähler handelt. Nicht zuletzt wäre dies ein dringend notwendiger Schritt zu einer wirklich digitalen Hamburger Verwaltung. Der ehemalige Schulleiter Dr. Hans Kaufmann, ebenfalls Vertrauensperson der Volksinitiative, erkennt hier typisches Behördendenken: “Die fehlende Digitalisierung der Verwaltung ist ein klassisches Henne-Ei-Problem: Viele Bürger kennen die PIN Ihres Ausweises nur deshalb nicht, weil man diese praktisch kaum zu etwas gebrauchen kann. Und die Stadt scheint zu glauben, dass man die Digitalisierung der Verwaltung nicht brauche, weil ohnehin so wenig Bürger ihre PIN kennen würden.” 4 Die Volksinitiative möchte diesen Teufelskreis verhinderter Digitalisierung nun durchbrechen, nicht nur für das eigene Volksbegehren zugunsten einer allgemein verständliche Sprache in Schulen und Verwaltung, sondern generell mit dem Ziel, Hamburg zu einer effektiven, digitalen Verwaltung zu verhelfen.

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